Warten

Warten – Martin Neubauer

23. April 2020 – Zum Anhören und Mitlesen

Warten und nichts tun können –

das zählt mitunter zu den quälendsten Erfahrungen im Leben.

Warten und aktiv nichts tun können:

das trifft jetzt viele von uns.

Wann endlich darf ich meine Lieben wieder sehen?

Meine Freunde?

Wann kann ich wieder geregelt meiner Arbeit nachgehen?

Wann läuft alles wieder in halbwegs normalen Bahnen?

Und wann darf ich endlich wieder einen Menschen umarmen?

Warten und nichts tun können!

Zuweilen trifft man auf ältere Texte, die wie in unsere Tage hinein gesprochen erscheinen.

So ging es mir mit folgenden Worten aus dem Jahr 1904, die sich in Rainer Maria Rilkes Briefen „an einen jungen Dichter“ finden.

Man muß das Wort Gott nicht immer aussprechen, um Gottvertrauen auszudrücken.

Rilke schreibt:

„Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun.

Sie müssen denken, daß etwas an Ihnen geschieht, daß das Leben Sie nicht vergessen hat, daß es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Beunruhigung, irgendein Weh, irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen daß sie in den Übergängen sind, und nichts so sehr wünschten, als sich zu verwandeln. …

Sie müssen geduldig sein wie ein Kranker und zuversichtlich wie ein Genesender; denn vielleicht sind Sie beides. Und mehr: Sie sind auch der Arzt, der sich zu überwachen hat.

Aber da gibt es in jeder Krankheit viele Tage, da der Arzt nichts tun kann als abwarten. Und das ist es, was Sie, soweit Sie Ihr Arzt sind, jetzt vor allem tun müssen.“

Halten Sie es gut durch!

Martin Neubauer


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