28. Mai 2020 – Zum Zuhören und Mitlesen
Diese Ölbergstation steht vor der Kirche in Burgebrach. Jesus betet darum, dass dieser Kelch vorübergehe und seine Jünger sind müde und schlafen. Diese Skulptur schildert das Geschehen im Garten Gethsemane unmittelbar vor der Verhaftung Jesu.
Auch in unseren Tagen gibt es viel Grund zu beten: Dass der Kelch der Corona-Gefahr an uns vorübergehe, an uns persönlich und unseren Familien, an unserem Land, an unserer Welt.
Wer betet, gesteht sich ein, dass er bedürftig ist, dass er nicht alles im Griff hat und nicht alles machen kann. Wer betet, wendet sich an eine Macht, die größer ist. Diese Macht ist der Urgrund des Lebens. Jesus nennt sie Vater. Zu ihm betet er immer wieder. Auch als er spürt, dass der Tod nahe ist. „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.“ Im beten ist Jesus ganz menschlich, ist er uns ganz nahe. Und er fügt hinzu: „Doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“
Beten heißt sich seine Bedürftigkeit eingestehen. Aber beten wie Jesus heißt auch einwilligen in den Willen Gottes, sich ihm anvertrauen in allem und trotz allem, was geschieht. Und so betet Jesus im Sterben am Kreuz: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ Wer betet, spürt, dass er nicht allein ist, sondern getragen wird von der großen Macht des Lebens.
Diese Erfahrung haben wohl auch viele Menschen in den letzten Wochen gemacht. Sie haben gebetet und sich dabei getragen gefühlt von einem großen Netz, dem Netz der Gebete Anderer, dem Netz der Liebe Gottes. Und das Beten hat ihnen die Angst genommen, hat ihnen Kraft und innere Ruhe geschenkt. Und vielleicht waren es nicht nur ausgefeilte Hygienekonzepte, die uns vor schlimmeren bewahrt haben, sondern eben auch Gebete. Dann wäre Beten sogar systemrelevant.
Und noch eins ist mir eine große Hilfe. Jesus betet, auch wenn seine Jünger mutlos und schläfrig sind. Jesus betet auch für uns heute. Er betet, auch wenn wir müde sind und manches verschlafen wurde. Er betet für die Ängstlichen. Er betet für die Gedankenlosen, die das Problem auf die leichte Schulter nehmen. Er betet für die Sterbenden. Er betet für die, die um das Leben anderer kämpfen. Er betet für die, die Angst haben um ihre Existenz. Er betet für die, die einsam sind, weil niemand zu ihnen kommen kann. Er betet für die Opfer häuslicher Gewalt und auch für die, von denen diese Gewalt ausgeht. Er betet, dass dieser Kelch vorüber geht.
Ist es nicht tröstlich zu wissen, dass da einer ist, der für uns betet, für Jeden und für Jede in ihren jeweiligen bedrohlichen Situationen? Zu wissen, ich bin nicht allein. Jesus ist da und er betet für mich, für uns alle. Er betet auch für die, die nicht mehr beten können, für die, die es aufgegeben haben oder vielleicht nie gelernt haben.
Diese Ölbergstation, wie übrigens andere Ölbergstationen auch, steht nicht in einer Kirche, sondern davor, sozusagen in der Öffentlichkeit. Sie ist allen zugänglich. Das Gebet Jesu gilt nicht nur den Gläubigen, sondern auch Ungläubigen, nicht nur den Frommen, sondern auch den Zweiflern, nicht nur Christen, sondern auch Menschen aus anderen Religionen, auch für die, die meinen nichts zu glauben. Er betet für uns. Wir sind nicht allein.
Pfarrer i. R. Günther Schardt
Zur Übersicht Wir sind für Sie da!